Probleme der Behandlung von Winkelfunktionen
Mit der Behandlung der Trigonometrie und der Winkelfunktionen werden zwei Entwicklungslinien miteinander verbunden, die bisher relativ getrennt verliefen, die Entwicklung des geometrischen Könnens und die Entwicklung des Könnens im Arbeiten mit Funktionen. Eine zu starke Vermischung sollte aber vermieden werden, um die Eigenständigkeit der jeweiligen Betrachtungen zu erhalten. Deshalb wird vorgeschlagen, zunächst die Trigonometrie relativ abgeschlossen zu behandeln und dann erst die Winkelfunktionen als reelle Funktionen einzuführen.
Mit Blick auf die hautsächlichen Anwendungen der Winkelfunktionen für trigonometrische Berechnungen sollten zuerst der Sinus, Kosinus und Tangens eines Winkels am rechtwinkligen Dreieck als Streckenverhältnisse eingeführt werden. Zur Vereinfachung der Sprechweise kann aber schon die Bezeichnung „Winkelfunktion“ verwendet werden, ohne die Funktionen selbst näher zu betrachten. Mit der Einführung am rechtwinkligen Dreieck verbunden ist jedoch eine Beschränkung des Definitionsbereiches auf Winkel von 0° bis 90°. Dies ist jedoch für trigonometrische Berechnungen an rechtwinkligen Dreiecken völlig ausreichend. Die sofortige Verwendung der allgemeinen Definition am Einheitskreis kann die Schüler nur unnötig verwirren und bringt keinen Nutzen für die Trigonometrie.
Zur Erfassung der Bedeutung von Sinus-, Kosinus- bzw. Tangenswerten ist es günstig, einige Funktionswerte und Argumente als Verhältnisse in beliebigen rechtwinkligen Dreiecken zeichnerisch zu ermitteln.
Die Erweiterung des Definitionsbereiches der Sinus- und Kosinusfunktion sollte im Zusammenhang mit der Herleitung des Sinus- bzw. Kosinussatzes erfolgen. Die Definitionen erscheinen dann sinnvoll für den Umgang mit den beiden Sätzen. Ansonsten ist es schwer verständlich, dass ein Kosinuswert als Streckenverhältnis auch negativ sein kann.
Komplexe trigonometrische Aufgaben sind deshalb besonders schwierig, weil für die Berechnungen oft verschiedene Hilfsmittel eingesetzt bzw. zur Auswahl herangezogen werden können (Winkelfunktionen am rechtwinkligen Dreieck, Sinus- und Kosinussatz, Flächenberechnungen, Satz des Pythagoras, Strahlensätze, Innenwinkelsumme im Dreieck u. a.). Die Strategie des Rückwärtsarbeitens zum Finden von Lösungsideen ist deshalb für diesen Aufgabentyp besonders zu empfehlen. Die Verwendung von Lösungsgraphen kann den individuellen Prozess der Ideenfindung unterstützen. Ein weiteres wichtiges heuristisches Mittel ist das Arbeiten mit Skizzen, insbesondere des Zerlegen und Ergänzen von Strecken und Flächen.
Das wesentliche Merkmal der Winkelfunktionen, das sie von allen anderen bisher behandelten Funktionen unterscheidet, ist die Eigenschaft der Periodizität. Da periodische Vorgänge auch im täglichen Leben und den Naturwissenschaften auftreten, sollten gesonderte allgemeine Betrachtungen zu periodischen Funktionen angestellt und zeitliche periodische Vorgänge durch Funktionsgraphen modelliert werden.
Mit der Einführung von positiven und negativen Drehwinkeln wird die Entwicklung des Winkelbegriffs an der Schule abgeschlossen. Die Schüler lernen damit eine weitere Bedeutung negativer Zahlen, die hier zur Kennzeichnung einer Drehrichtung dienen, kennen.
Bei der Definition der Winkelfunktionen am Einheitskreis ist zu beachten, dass die Sinus- bzw. Kosinuswerte der Winkel Koordinaten eines Punktes sind und nicht als Streckenlängen veranschaulicht werden sollten, die ja dann auch negative Werte annehmen könnten, was dem inhaltlichen Verständnis einer Strecke widersprechen würde.